Industrielle Produktion und Arbeitsstätten zählen zu den prägenden Größen der Herausbildung von Stadträumen und stehen mit diesen in einem nicht immer konfliktfreien, in Teilen kontroversen Wechselverhältnis.
Gerade in der hoch-dynamischen Phase der Industrialisierung und Urbanisierung unserer Städte um 1900 begründeten sich Industriestandorte und Industrieproduktionen in unmittelbarer Nähe zu Wohnstandorten und/oder wurden – am Stadtrand liegend – vom Städtewachstum eingeholt und umschlossen. Beispiele für derartige Entwicklungen finden sich auch in Berlin so einige. Denken wir an die Vielzahl der ehemaligen Brauereistandorte im Prenzlauer Berg oder aber das historische Nebeneinander von Wohn- und Industriestandorten in Oberschöneweide. Nicht selten waren und sind diese Industriestandorte exklusive/ausgrenzende Inseln im Gesamtgefüge Stadt, geöffnet nur jenen, die hier arbeiten.
Im Fall der industriellen Hinterlassenschaften der Knorr-Bremse AG im Berliner Stadtraum ist letztgenanntes weitestgehend bis in die Gegenwart der Fall. Bis Heute sind weite Teile der ehemaligen und noch in gewerblicher bzw. industrieller Nutzung befindlichen Produktionsstätten „exkludierende Inseln im Stadtraum“, unbekannte Größen und – gerade für die Standorte im ehem. Boxhagen-Rummelsburg zutreffend – durch zwischenzeitliche Umnutzungen und Nutzungsdiversifizierungen in der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend nicht mehr mit ihrer ursprünglichen Nutzung bzw. dem Unternehmensbezug Knorr-Bremse verknüpft.

Firmengründer Georg Knorr arbeitete ab 1884 im Berliner Büro des amerikanischen Ingenieurs Carpenter (Sitz in Berlin-Tiergarten), der sich um die Einführung der von ihm entwickleten Zweikammer-Druckluftbremse auf dem deutschen (Eisenbahn-)Markt bemühte. Mit dem Rückzug Carpenters aus dem Deutschen Markt 1893 übernahm Knorr den vorhandenen Betrieb (zunächst unter Beibehaltung des Firmennamens Carpenter & Schulze) und verlagerte in Folge Produktions und Entwicklungsstätten nach Berlin-Britz. Hier entwickelte er 1900 die Knorr-Einkammerschnellbremse, welche einen maßgeblichen Grundstein für den weiteren Erfolg des Unternehmens legte. Für notwendige Betriebs- und Kapazitätserweiterungen kaufte Knorr zwischen 1904 und 1906 mehrere Grundstücke in der Neuen Bahnhofsstraße und begann mit dem Auf- und Ausbau des dortigen Produktionsstandortes. 1905 erfolgte die Gründung der Knorr-Bremse GmbH, welche 1911 nach dem Tode Georg Knorrs in eine AG umgewandelt wurde. Maßgeblich an der baulichen Gestaltung und dem Ausbau des Produktionsstandortes beteiligt war der Architekt Alfred Grenander, der seinerzeit als künstlerischer Leiter der Hochbahngesellschaft auch die Gestalt vieler Berliner U- und Hochbahnhöfe beeinflusste. Er ist auch maßgeblich für die Gestalt des 1928 (unweit des Standorts Neue Bahnhofstraße) im heutigen Lichtenberg errichteten ehem. Hauptwerk der Knorr-Bremse AG verantwortlich (in der Gegenwart genutzt durch Deutsche Rentenversicherung Bund).

Der weitere Firmenaufstieg dokumentiert sich anhand der Gründung diverser Tochterunternehmungen und Unternehmensbeteiligungen. Für die Entwicklungen im Großraum Berlin sei an dieser Stelle exemplarisch die Beteiligung an der heutigen Konzerntochter Hasse & Wrede (seit 1921) hervorgehoben. Dieses Unternehmen unterhielt im Berliner Raum verschiedene Standorte in Britz, Pankow und Wedding. Auf Betreiben des Oberkommandos des Deutschen Heeres erfolgte der Firmenumbau zum größten Spezial-Werkzeugmaschinenfabrikant Europas und der Ausbau eines neuen Produktionsstandort in Berlin-Marzahn, welcher 1941/42 in Betrieb ging.

Die Kriegsjahre sind im Konzern, wie in vielen deutschen Betrieben, auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern charakterisiert. So finden sich – in Bezug zu den jeweiligen Produktionsstandorten – Nachweise für Zwangsarbeiterlager im Stadtraum, welche heute weitestgehend gänzlich aus der stadträumlichen Wahrnehmung getilgt sind. In Bezug auf den Standort Rummelsburg-Boxhagen werden in Quellen z.B. die Standorte Möllendorfstraße 70, Roederplatz, Roederstr. 11-13 und 85-91 sowie Bornitzstr. 1 und Hohenschönhausener Str. 11 benannt. Am Standort Berlin-Marzahn wurden in direkter Zuordnung zu den Betriebsstätten auch 2 Zwangsarbeiterlager errichtet. Zudem befand sich in unmittelbarer Nähe zum Produktionsstandort der bereits 1936 eingerichetet sogenannte „Berlin-Marzahn Rastplatz“ (Zentrales Zwangslager und Sammelstelle für „Zigeuner“).


Nach dem 2. Weltkrieg kommt es, auch in Konsequenz der Deutschen Teilung, zu einem signifikanten Umbau der Konzernstrukturen und einer Verlagerung von Firmensitz und Firmenzentrale der Knorr-Bremse AG nach München. Die auf Ostberliner Gebiet befindlichen Standorte wurden enteignet und durch Besatzer bzw. volkseigene Betriebe (VEB) genutzt. Nach der Wiedervereinigung erfolgte die Abwicklung der ansässigen VEBs sowie die Rückübertragung von Grundstücken und Betriebsanlagen.

Für den Standort Boxhagen-Rummelsburg bedeutete die Wiedervereinigung und die damit verbundenen Abwicklung der dort ansässigen Betriebe das Ende der Nutzung durch den Knorr-Konzern sowie den Umbau zu einem Gewerbestandort, der im Wesentlichen durch Büro-, Verwaltungs- und Bildungsnutzungen charakterisiert ist. Zu den bekannten Nutzern, welche den Standort und seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bis heute nachhaltig prägen gehören neben der Rentenversicherung u.A. die Hochschule für Wirtschaft und Recht, die Berliner Filiale der ODEG sowie nach Übernahme und Umbau der sog. „Alten Fabrik“ (Neue Bahnhofstr.) durch die Berggruen Holding 2012 die Zalando AG.

Seit 1993 wurden die Unternehmensaktivitäten der Knorr-Bremse AG im Berliner Raum zunächst schrittweise am Standort Berlin-Marzahn konzentriert und produktive Aktivitäten weiter heruntergefahren. In den Jahren 2000/2001 erfolgte die denkmalgerechte Sanierung des ehemaligen Werksstandortes Berlin-Marzahn durch J.S.K. International, Dipl.-Ing. Architekten, Berlin. Zwischenzeitlich erfolgte auch an diesem Konzernstandort und betrieben durch die Knorr-Bremse AG selbst die Öffnung der in weiten Teilen denkmalgeschützten baulichen Anlagen für andere nicht konzerneigenen Nutzer im Kontext der durch den Konzern selbst betriebenen Entwicklung und Vermarktung des „Gewerbeparks Georg Knorr“.

Im Vergleich der beiden hier beschriebenen Unternehmensstandorte werden unterschiedliche Standortkonzepte deutlich. Während sich der Standort Boxhagen-Rummelsburg in direkter Nachbarschaft zu Wohnquartieren befindet bzw. Bestandteil eben dieser ist, befand sich der Standort Marzahn zum Zeitpunkt seiner Errichtung in einer eher noch landwirtschaftlich geprägten Randlage Berlins und erhielt erst mit der Errichtung der Marzahner Großwohnsiedlungen ein „benachbartes Wohnumfeld“.

weiterführende Links und Quellen:
– Landesdenkmalamt Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH (Hrsg.) (1996): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Denkmale in Berlin, Bezirk Friedrichshain.
– Webesite der Knorr-Bremse AG.
– Webseite von Hasse & Wrede.
– Webseite des Gewerbeparks Georg Knorr.
– Projektwebseite des Architekurbüros J.S.K. International, Dipl.-Ing. Architekten, Berlin zum Sanierungsprojekt Knorr-Bremse Berlin-Marzahn.
– Wikipediaeinträge zur Knorr-Bremse AG, zur Geschichte von Hasse & Wrede, zur Person Georg Knorr.
– Trafo Verlag (Hrsg.)(2001): Versklavt und fast vergessen. Zwangsarbeit im Berliner Bezirk Lichtenberg 1939–1945. in Auszügen hier verfügbar.
– Arbeitskreis Berliner Regionalmuseen (Hrsg.)(2003): Zwangsarbeit in Berlin 1938 – 1945. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf.
Some words in English:
This article tries to focus on the relation between industrial production/industrial sites and urban development. The photographs show former and recent industrial sites of the company Knorr-Bremse AG – a company known for braking systems for rail and commercial vehicles – within the boundaries of Berlin.
The company Knorr-Bremse was founded in Berlin in 1905 by Georg Knorr. Their production sites in Berlin Friedrichshain, Lichtenberg (integrated into multifunctional urban quarters) and Marzahn (exclusive stand alone factory in the former rurally characterised outskirts of Berlin) are examples for different types of industrial sites and expression of changing needs of industrial production (in perspective of an industrial enterprise).
The history of Knorr-Bremse reflects the history of Germany as well as the historic urban development of Berlin.
Nowadays both production sites are characterised through diversification of uses. In case of the industrial sites in Friedrichshain and Lichtenberg the public awareness seems to increasingly disremember the original utilization and purpose of buildings and structures (due to this diversification of uses and the loss of the original function).
Personal Opinion: Both sites and the history of Knorr-Bremse in Berlin seem to be endangered of being erased from the collective urban memory (of Berlin).
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