Häufig vergisst der gemeine Großstädter, dass es neben seinem bequem großstädtischem Leben mit all seinen „Verführungen“ und „Möglichkeiten“, der Vielzahl von öffentlichen und kommerziellen Dienstleistungen und Angeboten, die das Leben in der Großstadt eben so „lebenswert“ machen, eben auch Orte und Räume gibt, in denen diese empfundenen Selbstverständlichkeiten eben nicht immer bzw. nicht mehr selbstverständlich sind. Jenseits der metropolitanen Verflechtungsräume und Großstädte werden geliebte Dinge – wie z.B. die Versorgung mit öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV) – zu Herausforderungen, zu in Teilen schwer zu realisierenden Dienstleistungen. Hier mutiert der Ausflug zum nächsten IKEA oder H&M nicht selten zum Wochenendurlaub und der Weg zum Facharzt, Museum oder ins Konzert wird zum tagesfüllenden Ausflugsabenteuer.


Auch wenn diese überspitzten Gedanken nicht überall in der selben Dramatik wirken, sich im Gegenteil in der Gruppe der Klein- und Mittelstädte sehr gegensätzliche Entwicklungstendenzen und Herausforderungen feststellen lassen, bleiben Klein- und Mittelstädte – für die in ihnen als auch in ihrem Umland befindlichen peripheren/ländlichen Räumen lebenden Bewohnern – Anker der Sicherung einer „Grundversorgung“, der Sicherung „wohnortnaher Grundfunktionen“ (Einkauf (täglicher Bedarf), Bildung, Gesundheit, Arbeit,…).

Mit Blick auf das im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn verhältnismäßig dezentralisierte Siedlungssystem in Deutschland sind diese Klein- und Mittelstädte (Kleinstädte = Städte mit 5.000 bis 20.000 Einwohner und Mittelstädte = Städte mit 20.000 bis 100.000 Einwohner) für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als zentrale Motoren der gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Entwicklung zu begreifen. Ihre Innovationskraft und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aber auch ihre Integrationskraft im Sinne der Ermöglichung von Teilhabe und Teilnahme sowie ihre städtebaulich-kulturell-historische Bedeutung tragen ungemein zur Prägung unseres Gemeinwesens und unserer Gesellschaft bei.

Die große Bedeutung der Klein- und Mittelstädte verdeutlicht auch ein Blick in die Statistiken des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS, April 2014). So lebten Ende 2012 43.568.265 Menschen, etwa 54,1% der Gesamtbevölkerung in Klein- und Mittelstädten, die in ihren räumlich-organisatorischen Einheiten zusammengefasst 202.845 km² bzw. ca. 56,8% der Fläche Deutschlands einnehmen. Folgt man den Ausführungen von Norbert Portz (Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebundes) fallen etwa 55% aller Arbeitsplätze auf Siedlungen dieser Kategorie (siehe hier). Auch hinsichtlich der Innovationskraft (häufig gemessen an der räumlichen Verteilung von Patenten) wird Klein- und Mittelstädten Deutschlands nicht selten (und gerade im süddeutschen Raum) eine hohe Bedeutung beigemessen (siehe hierzu z.B. BMVBS (Hrsg.)(2013): Indikatoren zur Innovationstätigkeit am Bau im internationalen Vergleich. In: BMVBS-Online-Publikation Nr. 08/2013.).

Unabhängig von den verschiedenen Funktionen und Bedeutungsaspekten, in Teilen aber auch resultierend aus eben jenen, wird sich die Zukunft der Deutschen Klein- und Mittelstädte durchaus vielfältig und unterschiedlich gestalten. Während sich in stagnierenden und schrumpfenden Regionen (insbesondere in ländlich geprägten Räumen) die Sicherung von Grundfunktionen der Daseinsvorsorge und Versorgung – für sie selbst und ihr Umland – weiter als zentrale Herausforderung verfestigen wird, werden Klein- und Mittelstädte im Verflechtungsbereich der metropolitanen Zentren eher mit der Kanalisierung von Wachstum und Ausbau der regionalen Infrastrukturen sowie der Wahrung des „Genius Loci“, der Eigenart des Ortes beschäftigt sein. So wird sich nach den Prognosen der UN Population Division der Anteil der städtischen Bevölkerung in Deutschland in der Gesamtperspektive von 73,9% (2011) auf 81,8% (2050) erhöhen (siehe UN World Urbanization Prospects: The 2011 Revision) und dieser „Bedeutungsgewinn städtischer Lebensformen“ in unseren Breiten durch einen „strategischen Bedeutungsgewinn“ auch von Klein- und Mittelstädten begleitet werden.

Gerade mit Blick auf demografische Herausforderungen (z.B. Alterung, Anpassung von Infrastrukturen) aber auch mit Blick auf Klimaschutz, den Umbau unserer Energieversorgungsstrukturen oder die Etablierung neuer alternativer Verkehrsangebote sowie der Sicherung für Grundfunktionen können und müssen Klein- und Mittelstädte eine innovative, zukunftsweisende Rolle übernehmen. Neue alternative Erbringungsmodelle entwickeln (z.B. im Bereich Verkehrs- und Versorgungsdienste), die häufig auch auf einem höheren Engagement/Integration/Beteiligungslevel der Bevölkerung (Zivilgesellschaft) basieren, vielfach soziale Motive den ökonomischen vorranstellen und so innovative Lösungen für lokale Herausforderungen sowie generelle Zukunftsfragen zu finden. Hierdurch werden Klein- und Mittelstädte in mancherlei Hinsicht stärkere Vorreiter- bzw. Vorbildfunktionen auch für Großstädte herausbilden (Adaption von Guten Beispielen aber auch hinsichtlich des Transfer von Wissen und Erfahrungen) und zu einer (weiterhin notwendigen) Weiterentwicklung des stadt- und regionalentwicklungsbezogenen Werkzeugkastens beitragen.

Die Notwendigkeit diesen funktionalen und strukturellen „Bedeutungsgewinn“ zu Begleiten und Befördern wird seit dem Dekadenwechsel vermehrt auch wieder auf politischer Ebene, so z.B. im Bereich der Ausgestalltung raumwirksamer Förderpolitiken, thematisiert. Beispiele hierfür sind das 2010 durch das BMVBS initiierte Städtebauförderungsprogramm „Kleinere Städte und Gemeinden“ oder aber die seit 2012/13 geförderten 21 Modellregionen des Aktionsprogramms „Regionale Daseinsvorsorge“.

Etwas Freizeit ermöglichte es mir meine Archive etwas zu durchforsten und einen Versuch zu wagen visuelle Eindrücke der Vielfalt und Herausforderungen herauszufischen. Die präsentierten Ergebnisse verdeutlichen gerade auch die städtebaulich-kulturelle Bedeutung von Klein- und Mittelstädten, die diese nicht selten auch zu touristischen und erholungsbezogenen Reisezielen machen und insofern die Perspektiven über den Horizont Wohnbevölkerung, Daseinsvorsorge und Wirtschaftsstandort erweitern. Interessen- und Möglichkeitsbedingt liegt der Schwerpunkt der hier präsentierten Eindrücke auf dem norddeutschen Raum.

Some words in English:
This article discusses role and importance of small and medium sized cities within the German settlement system. It also tries to underline their role for the prospective spatial development and name some of the key tasks and challenges in-between ongoing urban growth, demographic changes and shrinking phenomena.
Currently about 54.1% of the German population are living in small and medium sized cities (5.000 to 100.000 inhabitants). These cities themselves cover about 56.8% of the total landmass of Germany. Reflecting ongoing development tendencies it seems necessary to underline the importance of small and medium sized cities and their infrastructures and services for the prospective development of rural areas as well as for the prospective development of the metropolitan core regions.
The presented pictures are mainly examples from the northern part of Germany.
schöne Fotos! Selbst geschossen? Schwarz-weiß Bilder haben ihre ganz eigene Stimmung.
Freut mich, dass die Bilder gefallen. 🙂
… und …
Ja, die Bilder hab ich selber geschossen. Sie entstanden zwischen 2012 und 2014.